Victoria den 8 October 1855
(A. S. – Sâ, Camara)
Mein liebster Herzensbruder
Du wirst Dich jedenfalls in einer
höchst racheschnaubenden Stimmung gegen mich befinden, weil ich Dich, gegen
alle Regeln des Briefstyls, der Höflichkeit, der brüderlichen Liebe, & der
Sympathie, so rasend lange auf eine Antwort habe warten lassen, die ich von
Rechts wegen, so gleich bei Empfang Deines Briefes (20 September) vom 1 August
1854, hätte sollen vom Stapel laufen laßen, mit obligater Begleitung von Kanonendonner,
Festflaggen, Kränzen ect. Gerne würde ich Deine ganz famose Heirath mit einigen
Sonetten oder sonstigen lirischen Locksprüngen feiern, aber, in Ermanglung von Parnassus & Pegasus erklimme ich auf
einem gemüthlichen brasilianischen Klepper den großen Berg hinter meinem Hause,
den ich aus böhmischer Reminiscenz mit dem Ehrentittel Pičorez belegt habe, & von welchem aus ich eine herrliche
Fernsicht übers weite Meer habe; mit nach N.N.O. gewandten Gesicht, breite ich
die Arme sehnsüchtig nach Dir aus um Dich recht herzlich zu umarmen & die
Augen möchten mir dabei fast feucht werden; ein Gleiches thäte ich gern mit
Deiner lieben Frau Gemahlin, was Dir übrigens, in Folge der höchst respektabeln
Entfernung von einigen 2000 Meilen durchaus nicht zu eifersüchtigen
Empfindungen Veranlaßung geben kann, zumal es leicht möglich ist, daß die
Umstände mir nur gestatten, diese transatlantische Umarmung höchst eigenhändig
zu ratificiren. – Mein bester Albert! möge Dir die Vorsehung alles Glück, alle
Zufriedenheit & Wohlergehn, an der Hand Deiner jungen, liebenswürdigen
Lebensgefährtin, reichlich zumessen, wie Du es verdienst, denn Du warst von
jeher unter Allen Deinesgleichen eine ausnahmsweise Erscheinung; ohne
Kopfhängerei, Mystik & Pietismus hast Du Dich stets auf dem Standpunkt eins
ächten, ehrenwerthen, angenehmen Christen erhalten. Wenigen gelingt Dies. Ich
habe jederzeit Deine rationelle & moralische Ueberlegenheit, ohne Neid
& Eifersucht anerkannt, & mich darüber gefreut, wo möglich mir auch einiges
Verdienst daraus angeeignet, als leiblicher Bruder, nach Art der Katholiken:
Weil
das Verdienst der Heil’gen Geister
Für
alle Menschen überschwenkt
Seid
Ihr der Gnade Brunnenmeister.
Zum
Scudi wird sie ausgeschenkt.
Der letzte Vers paßt übrigens
nicht hieher & ist nur der Vollständigkeit des Reims wegen angeführt. – Factum est aber, daß ich lieber Dein
Bruder sein will, als der sämtlicher junger Männer, die ich in zwei Hemisphären
kennen gelern habe, & zwar nicht aus Fügung in das fait accompli, sondern aus warer Ueberzeugung, Vorliebe &
Wahlverwandtschaft. – Unser gegenseitiges Verhältniß & die Umstände unter
denen wir leben, sind der Art, daß du diese meine Redensarten ein buchstäblich
nehmen kanntest, da dieselben unmöglichen Weise als das fade Panegyritum eines
interessirten Protegé’s betrachtet
werden können. – Obwol Du eigentlich, als «kreuzsolides Haus» eher für den
famosen Ehestand geschaffen bist, als ich, der stets eine gewiße Rekrudescenz
von Vagabundismus in meinem Innern
beherbergte, so wird es nur doch schwer mir Dich als wohlbestallten Ehegatten,
respektiren Familienvater vorzustellen, wie Du im übersprudelnden Selbstgefühl
conjugaler Würde, mit etwas egoistischer, alt Castilischer Grandeza, die Gesellschaft Deiner jedenfalls sehr hübschen Frau
durch das Weltal stolzirst eclaboussant
& coudoyant les moins fortuné. – «Gleich zu gleich gesellt sich gern»
ist ein Sprichwort, das in aller Sprachen übersetzt worden ist, - & das
sich jedenfalls auch auf Dich beziehn kann; deßhalb bin ich fest überzeugt, daß
meine inniggeliebte Schwägerin, abgesehn von den äußerlichen Reizen, von denen
nur unsere Mutter & Schwester, noch lange bevor von irgend einer Verbindung
die Rede mehr geschrieben haben Dir auch an kerngediegenem Gehalt & ächtchristlichem
Gemüth gleich kömmt. – Möge Euch der Himmel segnen, möge er Euch alle
Wohlfahrt & Glückseligkeit senden, deren Ihr würdig seid & die ich Euch
täglich von der Gnade des Schöpfers herabstehn. – Mögerst Du mein lieber Bruder
mehr Rosen als Dornen auf deinem Lebenspfad treffen. Dein zweites Ich ist zu
freundlich, zu liebevoll gesinnt um nicht dies Seinige dazu beizutragen.
Ich meines Theils habe mir einen
gestählten Panzer über den Cadaver gezogen, um die Schläge des Schicksaals als
Dickhäuter auszuhalten. Mein Loos falle wie es will; ich habe schon eine
ziemliche Provision von Indifferentismus gemacht, & tauchte mich in dieser
Tugend zu stücken. Es ist etwas Entsetzliches allein – allein auf einer
halben Erdkugel zu existiren. Mein Wille war es mich zu expatriiren & ich
werde daher jederzeit mich still & ergeben in die Fügungen meines
Schicksaals fügen, obwol es hart ist mit 20 Jahren hinausgeworfen zu werden ins
Weltgetümmel ohne Stütze, Ermuthigung & Antrieb. Mir ist das Leben unter
Negern entsetzlich zuwider & dennoch muß ich mich darein fügen es
wahrscheinlich mit ihnen zu fristen. Was die Negrophilen über das traurige Loos
der Neger faseln ist Unsinn & Lüge; nicht die Neger – deren Herrn sind zu
beklagen & zu bedauern & sie sind die wahren Sklaven ihrer Sklaven. Du
eiferst über die Schlechtigkeit & Verdorbenheit Eurer Europäischen Beamten,
Arbeiter ect. ich kann Dich aber ohne Uebertreibung versichern, daß dieselben
besser sind als die Neger, auch weil ich sie kenne & daher mit letztern
vergleichen kann, sondern auch weil es unmöglich ist daß auf der Welt etwas
Schlechteres oder eben so schlechtes giebt als den Neger. Einen schlechten
Arbeiter oder Bedienten in Europa schickt man fort & nimmt man einen andern
& ist so jedes Aergers & aller Arbeit enthoben. Nicht so ein schlechter
Neger; diesen muß sein Heer nolens volens
aushalten & sich täglich mit ihm aergern & ihn ohne Vortheil füttern
& pflegen. Du wirst wahrscheinlich sagen: warum wird ein solches Subjekt
nicht zurechtgeprügelt? Hierauf kann ich dir aus eigener & fremder
Erfahrung erwidern daß dies unmöglich ist: an leichte Züchtigung gewöhnt er
sich & macht sich nichs daraus; geht man ihm zu energisch zu Leibe so läuft
er fort oder hängt sich auf & man verliert sein Kapital. Verkaufen kann man
solchen Kerl auch nicht, da Niemand Lust hat sein Geld daran zu wagen. Unter
dem gemeinen, ungebildeten Theil der Menschheit ist der Negersklave das
Glücklichste Wesen, das einzige Wesen der Welt das nie Sorgen hat. Sein Herr muß
für Alles sorgen: er mag arbeitsam oder faul, gesund oder kränklich sein, mag
Kinder haben oder nicht. Er arbeitet seine 10 – 12 Stunden täglich, wenn er
sich eben nicht krank stellen mag & damit basta. Dafür bekommt er täglich, er mag arbeiten oder nicht, sowol
am Werk- als an Sonn- & Feiertagen seine ¾ Pfund Fleisch & in Gemüse
das Equivalent von 5 Pfund Kartoffeln, mit den nöthigen Zubehör & seine
Ration Branntwein. Jährlich zweimal einen vollständigen Anzug für die
Arbeitstage & einmal einen Sonntagsanzug & das nöthige Bettzeug. Ferner
bekömmt er sein solides, wohnliches Haus, nach der größe seiner Familie
geräumig berechnet, nebst den nöthigen Geräthschaften; dazu einen Garten hinter
dem Hause & ein Stück Land so groß er will um in seiner freien Zeit zu
bearbeiten, woraus ein thätiger Neger nicht wenig Nutzen zieht. Endlich hat er
die Fakultät & nöthige Erleichterung um sich Schaafe, Schweine &
Federvieh zu ziehn & zu jagen & zu fischen so viel er mag & kann.
Du siehst also, daß, trotz dem für alle Lebensbedürfniße reichlich gesorgt ist,
denselben unzählige Erwerbquellen offen stehn zum Erlangen des Ueberflüßigen,
des Luxus. Wird ein Neger krank so genießt er die sorgfälligste ärztliche Behandlung
& während der Reconvaleszenz, die er natürlich gern so lang wie möglich
macht fehlt es ihm nicht an Kraftbrühen, altem Wein ect. Kömmt eine Negerin
nieder so wird sie oft mehrere Monathe von allem Dienst dispensirt, erhält
alles nur irgend Nöthige bei dieser Gelegenheit & so lange das Kind lebt
eine monathliche Gratifikation in Geld. Vergleiche dies Loos mit dem unserer
Arbeiter, selbst in den Gegenden wo sie am Besten daran sind & du wirst
wol, ohne langes Nachdenken, entscheiden welche glücklicher sind. – Nur wirst
Du freilich die Einwendung machen: Das sei Alles schön & gut, es fehlt aber
dem Sklaven das kostbarste Gut, die Freiheit. – Irrthum & Wahn! – So lange
er Sklave ist fehlt sie ihm allerdings, es sind ihm aber alle Mittel in die
Hand gegeben sich seine Freiheit in einem mehr oder minder großen Zeitraum zu
erwerben. Im Durchschnitt kann man hiezu 10 Jahre annehmen, obwol natürlich
darin große Abweichungen vorkommen. Jeder Sklave, der frei werden will wird
frei, wenn er nicht früher stirbt. Sein Herr kann & wird nie daran hindern,
da er wol weiß, daß wenn ein Neger gewaltsam in der Sklaverei behalten wird, derselbe
sich unbedingt entleibt, & der Besitzer verlier sein 1000 fl. Daher, wird
jeder Herr, dessen Neger sich frei kaufen will demselben einen Preis machen,
der unter dem realen Werth desselben ist; thut er dies nicht, sondern überschätzt den Neger, so sind die Gerichte da, die in dieser Hinsicht die Sklaven ganz
besonders protegiren; diese bestimmen alsdann einen billigen Preis. Nun fängt
er an in seinen Freistunden gehörig zu arbeiten & das Gewonnene zu sparen, bis
er ungefähr die Hälfte seines Lösegelds seinem Herrn abgeben kann, welcher ihn
denn gewöhnlich taktisch aber noch nicht legal losläßt, d. h. der Neger kann
gehen wohin er will & thun was er will, erhält aber noch nicht seinen
gerichtlich ausgefertigten Freiheitsbrief, der ihn erst wirklich zum freien
Mann macht. In dieser Lage ist es ihm nun ein Leichtes die andere Hälfte seines
Lösegelds zusamenzubringen & seinem Herrn gegen Empfang seines
Freiheitsbriefs abzugeben. – Du siehst mithin daß es Sklaven giebt weil die
Neger es so wollen, widrigenfalls, ohne Revolution & Gewaltthat, die
Sklaven selbst die Sklaverei aufheben könnten. Hier auf Victoria könnte sich jeder arbeitsame Neger in 5 – 6 Jahren frei
machen, aber sie vergeuden & verschleudern lieber das Geld, als es zu
diesem Zweck zusamen zu sparen. Ich kann Dir kein überzeugenderes Beispiel
geben, daß der Neger, im Allgemeinen, für seine Freiheit ganz gleichgültig,
mithin ihrer unwürdig ist, als daß ich selbst Negersklaven kenne, die Herrn
& Besitzer von zahlreichen Sklaven (mithin sogar Mulatten) sind, die sich
daher jeden Augenblick frei kaufen könnten & ein hübsches Kapital zu ihrem
Unterhalt noch behielten, & die es vorziehn in Sklaverei zu bleiben &
zu sterben. Warum? Weil der Neger so entsetzlich faul & gleichgültig gegen
Alles ist, daß er höchstens durch Schläge gezwungen einen Entschluß faßt &
eine Aenderung an seinem statu quo
vornimmt.
Eine rühmliche Ausnahme hievon
machen die Nagó, ein Negerstamm von
der Ostküste von Africa: prächtige
Kerls, stark tatoviert, die Sinn für Freiheit & Ehrgefühl haben; äußerst
schwer zu regieren & zu discipliniren. Es ist selten daß ein Nagó über 10 Jahre Sklave bleibt;
gewöhnlich vor Ablauf dieser Zeit kauft er sich los, oder wenn ihm die Sache
ausnahmsweise unmöglich gemacht wird bringt er sich um; oder zur Abwechslung
schlägt er auch mitunter seinen Herrn tod. Diese Neger sind der Anhänglichkeit,
Dankbarkeit selbst des Edelmuths fähig, & die wenigen Züge edler Thaten,
die den unbeschäftigten Romanschreiben Stoff zu einem Conglomerat von Lügen
& Albernheiten lieferten stammen von den Nagó. Besagte Romanenschreiber, statt mit der Waffe ihres Talents
das Prinzip der Sklaverei, dieses schäuderlichen Stigmats der Menschheit,
anzugreifen, fahren sie wie der donnernde Zeus
über die Sklavenbesitzer her, die wahrhaftig nicht zu beneiden sondern zu
beklagen sind. Während dieselben, mit derselben Sach- & Lokalkenntniß, als Levaillant in seinen Afrikanischen
Reisebeschreibungen, ihre Utopien so gut wie möglich zusamenflicken, laßen sie
einen halbverhungerten freien Weltbürger, aleas
Bettler, durch ihren Bedienten per Fußtritt die Treppe herunterspediren, weil
er frech genug ist arm zu sein & den Herrn in seinem weichgepolsterten
Lehnstuhl, hinter seinem wohlservirten Theetisch bei seinem Menschheitsbeglückungsakt,
zu stören. – Daß mitunter entsetzliche Grausamkeiten & Unthaten vorkommen
kann nicht geleugnet werden; daß diese in frühen Jahrhunderten, als die
Menschheit noch roher & der Preis der Sklaven viel geringer war, ist leider
wahr; dies bezieht sich jedoch auf die ganze Welt. Und die Verbreiter der äußerst
seltenen, oft erlogenen Grausamkeiten, die sich Negerbesitzer gegen ihre
Sklaven erlaubten, mögen die Analen der Criminalgerichte ihres Landes, des
civilisirten, freien Europas, sorgfältig durchgehn & sie werden sich kaum
erkühnen noch so laut zu sein. – Wer ohne Schuld ist der werfe den ersten Stein
auf sie! hat unser Heiland gesagt. Und viele unüberlegte Eiferer sollten dies
Wort beherzigen, & zuerst vor ihrer eigenen Hausthüre das europäische Elend
& den nahmenlosen Jammer so Vieler wegkehren, ehe sie den Besen ihrer
Rhetorik über den Ocean schwingen um den Koth negerischer Indolenz rein zu
fegen. –
Du wirst diese meine Polemik zu
Gunsten der Sklavenbesitzer vielleicht als einseitig & partheiisch
betrachten da ich als Stellvertreter eines großen Sklavenbesitzers & als
Sklavenbesitzer selbst, hierin keine entscheidende Stimme habe & meine
Unpartheilichkeit verdächtig erscheint. Doch sollte es mir leid thun wenn Du
mich für fähig hieltest dem Prinzip der Sklaverei zu huldigen. Ich verabscheue
dasselbe sowol aus dem moralisch-sittlichen Grunde als aus vielen andern; es
ist der Fluch des Landes; & ich habe Brasilien
lieb, es ist meine wahre Heimath, mein Canaan.
Die Abschaffung der Sklaverei wird eine entsetzliche Krisis für diejenigen
sein, die dieselbe in Brasilien
erleben werden, aber heilsam wie eine jede, die überstanden wird. Keine
Genesung von einem gefährlichen Uebel ohne vollkommene, ungestörte Krisis! Möge
sie bald eintreten, so lange ich noch kräftig & jung bin, damit ich das
Meinige in der daraus folgenden allgemeinen Umwälzung beitragen kann; mit
Freude würde ich das verrostete Schwerdt aus der Scheide ziehn & mit
Begeisterung & Aufopferung für das Wohl, das Emporkommen, die wahre
Freiheit Brasilien’s kämpfen, &
auch errungenen Sieg würde ich, als zweiter Cincinatus,
mit inniger Zufriedenheit zu den Laren meines Krautjunkerthums zurückkehren. – Viva Brasilien! könnte ich Euch Alle
meine Lieben hieher nach Brasilien hexen, so wäre es mir sehr gleichgültig,
wenn sich die Russen mit den Türken, Engländern, Franzosen, Italienern ect per bastonade oder Höllenmaschine
gegenseitig total zerstörten & die ganze Welt bei dieser Gelegenheit unter
einem Feuerregen spurlos verschwände; so gleichgültig, daß ich mir gar nicht
danach umsehn würde & mithin nicht Gefahr liefe das Schicksaal der Madame Loth zu theilen.
Du wirst wol schon aus meinem
Brief an unsern Vater (d.d. 1 August)
erfahren haben, daß ich vielleicht auf dem Sprunge bin die Pflanzung Victoria
zu verlaßen, in welchen Falle ich auch alsdann ins Innere der Wälder
zurückziehn würde, um als Naturmensch mein Leben zu fristen, ein mühevolles
aber herrliches Leben, wobei denn freilich meiner Kinder als währe Söhne &
Töchter der Wildniß heranwachsen würden. Sollte es mir hingegen gelingen die
Pflanzung zu kaufen, so würde ich meine Kinder wenigstens auf einige Zeit nach Europa thun. Als Egoist wünsche ich mir
die erstere Lebensart; als guter Familienvater die letztere. Das Kleeblatt
meiner Progenitur würde sich auch weit besser in letzterm Falle befinden. Ich
aber erwarte mit Gelaßenheit die Wendung des Schicksaals, es sei wie es wolle.
Da Du so gütig bist mir in Deinem
Brief einige Details über die Familie Deiner Frau zu geben, will ich auch nicht
zurückbleiben. Das Porträt meiner Ehehälfte hast Du schon gesehn; es ist
übrigens sehr schlecht getroffen. Das Original hat glücklicherweise nicht dies
griesgrämige Gesicht & diese Trüffelnase die in der Copie erscheinen. Sie
hatt helle Augen & Harre, ist unter der mittlern Größe & eher mager als
beleibt; ist meist heiter & guten Muths, reitet vortrefflich & singt
mit melodischer Stimme die schönen brasilianischen Nationallieder, indem sie
sich auf der Zither begleitet, was ich besonders gern höre, wenn wir Nachts
beim herrlichen Mondschein auf dem Balkon sitzen, während das dumpfe Rauschen
des fernen Meers & das schauerliche Getöse des nahen Urwalds den obligaten
Baß & Barriton dazu brummen. Was meine Kinder betrifft, so ist die kleine Amelia & der jüngste Cherubino ganz mir nachgeschlagen,
mithin haben sie die vorherschenden Abzeichen der May; der kleine Fernando
hingegen zeigt durch seine schlankere Bauart, seiner owale Gesichtsbildung
& die großen, lebhaften Augen, daß in ihm das Blut der Sá vorherschend ist. Ueber meinen Schwiegervater könnte ich einen
hundertseitigen Brief abfaßen; einiges von den Erlebnißen seiner Familie will
ich Dir aber erzählen, es wird dazu dienen die verschiedenen Persönlichkeiten
näher zu bezeichnen. Er ist ein überaus lebhafter, kräftiger, schöner Mann, der
eher für meinen Bruder genommen werden könnte, & dem gewiß Niemand seine
Großvaterschaft ansieht. Ueberaus dienstfertig, fröhlich & angenehmer
Gesellschafter; verzweifelter Jäger, der den wilden Indianern in
Geschicklichkeit & Tollkühnheit auf den Jagden nichts nachgiebt. Seine Frau
ist etwas stolz & kalt, hat aber für mich, vom ersten Male an da sie mich
sah eine wirklich magnetische Freundschaft & Sympathie gefaßt, so daß ich
ihr Spezial bin. Es ist eine Frau von seltener Umsicht, Thätigkeit &
Energie, welche fast außschließlich alle Geschäfte leitet, während der Mann
sich mit den Jaguarn im Walde oder den wilden Pferden in der Steppe herumbalgt;
ihr Äußeres besteht aus einem ächt aristokratischen Profil, einer ziemlich
hohen Gestalt & einem erträglichen embonpoint,
große, geschwarze, funkelnde Augen, im Gegensatz zum Herrn Gemahl, der ächt
germanische, himmelblaue Augen hat. Das älteste der Kinder ist meine Frau,
jetzt 22 Jahr alt. Das zweit ein Sohn, Nahmens Egidinho (das Diminutif von Egidio)
ein hoch aufgeschloßener, aber schwächlicher, kränklicher Jüngling, der sich
soeben in den Flegeljahren befindet.; ein gutes Haus, dessen Geist aber durch
den krankhaften Körper an seinem gehörigen Aufschwung gehindert wird. – Das
dritte Kind ist meine kleine Schwägerin Liberia,
ein allerliebster Backfisch von 14 Jahren; etwas schnippisch & coquet, die
aber selten ihre heitere Laune an mir ausläßt, weil sie mich als eine Art
Respektperson betrachtet. – Das vierte endlich ist ein 8 jähriger, ausgelaßener
kleiner Bengel, wie sie alle in diesem Alter sind & wie wir auch waren, der
den hochtrabenden Namen Ulisses
führt.
Da hast Du die Familie meiner
Frau. Außer dieser wohnen hier in meiner Nachbarschaft der General & der
Major von Sá, beides Brüder meines
Schwiegervaters, welche mit zwei Schwestern meiner Schwiegermutter verheirathet
sind, mit ihren Familien. Ich wohne mithin in der Mitte der Vewandten meiner
Frau, was sowol ihr, als mir äußerst angenehm ist. Zu meinem Schwiegervater
reiten wir in einer Stunde, zum Major
Christiano de Sá in 2 & zum General
Joze de Sá in 3 Stunden. – Ein vierter Bruder der Hauptmann Frederico, der auch mit einer Schwester
meiner Schwiegermutter verheirathet war, jetzt aber Wittwer ist, wohnt tief im
Innern des Landes & treibt Vieh- & Pferdezucht. Der fünfte &
jüngste Bruder Guilherme fiel auf dem Schlachtfelde von Piraja, anno 1838.
Jetzt einige Erlebniße dieser
zwei Familien Sá & Cámara, die, wie Du siehst, durch eine
vierfache Heirath innig miteinander verknüpft sind & doch, durch
Bürgerkrieg & politischen Fanatismus sich einander bekriegten & gegenseitig
ihre großen Reichthümer zerstörten. Seit der Independenz Brasilien’s existirten & existiren bis auf den heutigen Tag
zwei Partheien. Die Sacoaremas, oder
die portugiesische Parthei, welche die Unabhängigkeit Brasilien’s beklagt & verflucht & Alles thut um die
Vortheile & wo möglich wieder die Herrschaft der frühern Metropole zu
fördern. Die andere Parthei, die Santa
Luzia, besteht aus den Veteraney des Freiheitskriegs, der jungen Generation
& den patriotisch gesinnten Brasilianern. Die ersten hat fast immer die
Oberhand gehabt; Das «Warum» wäre zu weitläufig zu erläutern. Der Chef des
Hauses Cámara, Onkel meiner
Schwiegermutter, geborner Portugiese, gehörte natürlich zur erstern; im Jahr
1833 war dies der Marquis von São João
Marques. Der Chef des Hause Sá-Bethencourt
um dieselbe Zeit war der alte Joze de Sá,
Ritter der Ehrenlegion, Mitglied der Akademie der Künste zu Paris & Kammerherr Cars X von
Frankreich; er gehörte mit Leib & Seele zu den Sta. Luzia. Diese beiden Familien waren in Minas Geraes anfäßig, wo sie ungeheure Besitzungen – Cafe &
Zucker; Viehzucht im kolossalen Maßstab & die reichsten Gold &
Diamanten Bergwerke besaßen (diese letztern werden jetzt von Engländern
ausgebeutet). Im Jahr 1832, neun Jahre nach der Emanzipation Brasilien’s, kam
es in dieser Provinz zu Reibungen, zwischen den beiden Partheien, die zuletzt
in allgemeinen, blutigen, grausamen Bürgerkrieg übergiengen, welcher diese reichste
& schönste Provinz des Landes in eine Wüste zu verwandeln drohte. Dem
Hergang dieses Krieges, der 1 ½ Jahre dauerte, seine Gründe, Ursachen
Endresultate ect. zu erzählen, wäre viel zu umständlich. Die Familien Sá & Cámara standen sich mit größter Erbitterung gegenüber & da der
Zweck des Krieges die Zerstörung ist, so fügten sie sich gegenseitig den größtmöglichen
Schaden zu. Die Sta. Luzia wurden
geschlagen, total geschlagen & aufgerieben. Die Brüder Sá (die am meisten compromittirten der ganzen Parthei) setzen den
Partheikampf, auf eigene Faust, noch einige Zeit fort, bis sie durch
Uebermacht, Noth & Mangel gezwungen die Waffen streckten, mit Ausnahme
meines Schwiegervaters, der wie es scheint, der Dickköpfigste war, &
welcher mit einem Geschütz & etlichen hundert Mann Reiter & Fußvolk,
als wilder Guerilha Häuptling, sich
bis zum Äußersten vertheidigte. Aber, von allen Seiten gehetzt & verfolgt,
ohne Lebensmittel & Munition, das ganze Volk, das früher auf seiner Seite
war, des langen Haders müde & durch die grausame Rache der siegreichen
Parthei erschreckt & niedergedrückt, versagte jede Hülfe & milde Gabe;
ein großer Preis war demjenigen verspochen, der ihn tod oder lebendig
ausliefern würde; sah er sich genöthigt seinem verzweifelten Unternehmen zu
entsagen. Nach letzter, glänzender Waffenthat, bei welcher er sich durch den,
ihn umzingelnden 6 mal überlegenen Feind, durchschlag, versammelte er seine
Leute & nachdem er ihnen seine ganze, ziemlich bedeutende Baarschaft
ausgetheilt hatte entließ er sie; unter Thränen & Wehmuth trennte sich
dieser kleine Haufen von Helden; das Geschütz wurde vernagelt. Mein
Schwiegervater floh in die wilden Gebirge des Westens. Hier lebte er verkleidet
& verborgen 8 Monathe, bald als Maulthiertreiber, bald als Fuhrmann, bald
als Schleichhändler. Aber in diese wilden Schluchten drang die Nachricht der
Mord- & Raublust der Sacoaremmas,
wie sie Alles confiscirten, & was nicht zu nehmen war zerstörten, dabei
Weiber, Kinder & Greise erbarmungslos wiedermetzelten; mein Schwiegervater
war auch durchaus nicht für dieses relativ friedliche Leben geschaffen; dabei sehnte er sich unaufhörlich nach den Heimathlichen Thälern & seiner jungen Frau zurück, die er kurze Zeit nach seine Vermählung verlassen hatte. Sein Exil verlassend, kam er nach 16 Tagen zu Fuss und armselig gekleidet, bleich & hager auf seiner Pflanzung an; überall traf er Schutt & Asche, Zerstörung
& Tod an. Ein alter Neger erkannte ihn & führte ihn in die mehr als
bescheidene Behausung seiner Frau.
Du kannst Dir diese Wiedersehensčene denken. Diese war seit fast 2 Jahren von ihrem Gemahl getrennt & seit 8
Monathen nicht nur ohne alle Nachrichten von ihm, sondern man versicherte mit
der größten Bestimmtheit er sei bei seinem letzten Gefecht, wo er sich so
tapfer durchschlug gefallen; Viele wollten seine Leiche gesehn haben. Zur
Vergrößerung der Freude, der glücklichen Ehegatten zeigte meine Schwiegermutter
ihrem Manne ein eben sanft schlummerndes, solides Wesen die kleine Amélia, ungefähr ein Jahr alt. Zugleich
erzählte sie ihm ihre & ihres Kindes wunderbare Rettung. Als sie nämlich in
den Wehen lag, es war Nacht, kam ein Trupp feindlicher Reiter angesprengt &
verlangte Haussuchung zu halten, weil Waffen im Hause verborgen wären; dies war
auch wahr. Mehrere Füßer Pulver, etliche tausend Kartuschen, 100 Gewehre &
Säbel ect. waren in einem Saale verborgen. Aber mit bewunderungswürdiger Geistesgegenwart
gab sie heimlich den Befehl die jungen Pferde, die über Nacht in einen
nahegelegenen, umzäunten Raum gethan worden, & deren an hundert waren, los
zu laßen, & über den Hof zu treiben. Die Fohlen, froh über diese plötzliche
Freiheit galoppirten fröhlich über den Schloßhof, & die Soldaten, die
bereits ihre Haussuchung, mit gewohnter Brutalität, angefangen hatten, rannten
zu ihren Waffen & Pferden, glaubend ein Trupp feindlicher Reiter komme
angeritten. Während dieser Zeit gelang es die Kriegsgeräthe unter das Bett der
Kreisenden zu bringen, & da solch brasilianisches Ehebett ein wahres
Monstrum ist, gut zu verbergen. Glücklicherweise war diese wilde Soldateska
doch nicht unmenschlich genug die Kindbetterin aus ihrem Bette zu jagen &
entfernte sich nach vollendeter Haussuchung. Hätten dieselben die verbotene
Waare entdeckt, so wäre unbedingt Alles was im Hause war Männer, Frauen &
Kinder niedergehauen worden. Du siehst also, daß meine Frau auf einem Arsenal
in duodez Ausgabe, auf einem globe de compression das Licht der Welt
erblickt hat; glücklicher Weise hat dieser Umstand jedoch nicht auf ihr Gemüth
influirt & ihr kriegerische Gesinnungen & Tendenzen verliehn. – Wenige
Tage nach der Ankunft meines Schwiegervaters verbreitete sich sogleich die
Nachricht; der berühmte Guerrilheiro
Egidio sei im Lande, & nicht tod. Er, um jedem Conflikt & Verrath
vorzubeugen begab sich allein nach Sabará,
dem damaligen Sitz der Regierung, & lieferte sich selbst seinen Feinden.
Der süße Pöbel, der ihn vor 1 ½ Jahren als Vaterlandsbefreier, Volksfreund
& Helden mit Enthusiasmuß begrüßte & mit Blumen warf, hätte ihn jetzt
beinahe gesteinigt & zerrißen. In strenge Haft gebracht hatte er die
traurige Freude mehrere seiner frühern Kampf- & Unglücksgenoßen im Gefängniß
zu treffen. Die brasilianische Regierung, zu rachsüchtig, zu schwach, zu arm
& zu bornirt um über das Schicksaal der Gefangenen gerecht zu entscheiden,
sei für Hinrichtung, Deportation, Gefangenschaft oder Freilaßung, entschloß
sich zu einem ihrer würdigen Mittel sich der Gefangenen zu entledigen; dieselben
sollten nämlich, durch hiezu präparirten & angehetzten Plebs im Gefängniß
massakrirt werden. Diese empörende Blutnachricht ward bald allgemein bekannt
& je nach den Partheien, mit Beifall oder Entrüstung & Jammer
aufgenommen. Du kannst Dir die Lage & Stimmung der Angehorigen meines
Schwiegervaters denken, (den von Allen am meisten compromitirt in deßen Gefängniß
sogar schon mehrere Schüße durch die Eisengitter gedrungen waren). Aber seine
Schwiegermutter, Gemahlin eines seiner unversöhnlichsten Feinde, vereinigte
sich heimlich mit seinen Eltern & so brachten sie auf eine wahrhaft
wunderbare Weise den ungeheuren Bestechungspreis von einigen 50.000 Fl zusamen
(Koffer, Kasten, Credit waren erschöpft, Landwirthschaft & Handel
vernichtet) mit welchem der Gouverneur den famosen Rebellen & mehrere
Andere entschlüpfen ließ. Der Mordplan auf die Uebrigen wurde dadurch vereitelt.
Natürlich war keines Bleibens mehr im Lande für meinen Schwiegervater; seine
Feinde & der Plebs hätten ihm nie verziehn, sie um das ergötzende
Schauspiel seiner & seiner Gefährten Zerfleischung, geprellt zu haben,
& da sie aus ohnmächtiger Rache & Wuth gegen ihn, sich nun an seine
Brüder wandten um doch auf eine Art Opfer für ihren Mezgerappetit zu bekommen,
beschloß die ganze Familie auszuwandern & zu fliehen.
Heimlich &
verborgen trafen sie ihre Vorkehrungen; ihren Grundbesitz tauschten sie gegen
andern in Ilhéos um, einem gewißen Marechal
Felisberto gehörig, der sie bei dieser Gelegenheit auf die gemeinste Art
betrog & ihren Vermögen den Todesstoß gab. Jedermann, ihrem Schwiegervater
ganz besonders, mußte dieser Plan verheimlicht werden, was eben keine leichte
Sache war. Endlich, an einem Abend,
brach die ganze Truppe von verschiedenen Punkten, auf, die 4 Brüder Sá, mit ihren 4 Frauen & 11 Kindern
von denen das älteste 8, das jüngste ½ Jahr alt war, nebst einigen 50
Maulthiertreiben, Jägern & Sklaven. 78 Maulthiere dienten zum Transport der
Menschen, des Gepäcks, der Lebensmittel & anderer Gegenstände. Obwol
Todesangst die Schritte der Reisenden beflügelte, dauerte die Reise doch von
der Gegend von Villa rica in Minas bis Ilheos 4 ½ Monathe. Die Entfernung mag, mit allen Krümungen &
Umwegen, etwa 200 Meilen betragen, eine Reise, die man in Europa, selbst abgerechnet Dampf & Extrapost, in drei Wochen
& weniger zurücklegen würde. Was während dieser Zeit an Entbehrungen,
Gefahren & Qualen ausgehalten würde, gränzt aus Fabelhafte. Oft hatten sie
ihre Feinde, die sie energisch verfolgten, auf dem Nacken & entgingen ihnen
nur durch jene, dem Urwaldbewohner bekannten Kniffe, die F. Cooper so treffend
in seinen Romanen beschreibt: verkehrter Beschlag der Lasthiere, lange Märsche
in Wasser, Brechen der Aeste, trügerische Nachtfeuer & auf falsche Spur
tragen der gefallenen Maulthiere. Die Frau des Majors wurde unter Wegs mitten
in der Wildniß von einem Knaben entbunden. Denke Dir die Annehmlichkeit der
Frau & für die Begleiter. Das Schlimmste war aber, daß die Maulthiere,
durch die starken Tagmärsche im Anfang & den gänzlichen Mangel an Futter,
bald erschöpf wurden, so daß kein Tag vergieng, nachdem sie 10 oder 12 Tage geflohn
waren, an dem nicht eines oder mehr krepirten oder unfähig war weiter zu gehn;
diese mußten getödet & weit aus dem Wege geschafft werden, das Geschir
& die Last die sie trugen auf Bäume gehängt, als einziges Mittel dem Feinde
seine Spur nicht zu vorrathen. Die Zahl der Lastthiere war bald sehr gering;
die besten, auf denen die Damen & die Negerinen mit den Kindern ritten mußten,
nachdem sie in Nachtquartier angekommen waren, wieder einige Meilen zurück um
den hintennachhinkenden, magern Thieren ihre Last abzunehmen. Natürlich konnten
nur kleine & immer kleinere Tagreisen gemacht werden. Die Männer gingen
bereits sämtlich zu Fuß. Küchengeräth, Proviant, Betten, Kleider & Wäsche
blieben nach & nach alle zurück. Bald war die Carawane darauf beschränkt das
erlegte Wildprett (an diesem fehlte es nie) ohne Salz, ohne Zubereitung, ohne
Hinzuthat irgend eines vegetabilischen Alliments, nur etwas in Feuer
angebrannt, zu seinem einzigen Nahrungsmittel zu machen. Dies war aber noch das
geringste Uebel; Der öftere Mangel an Wasser war das Peinlichste. Ein Mann,
eine energische Frau erträgt den Durst noch zur Noth, wie quälend er auch unter
brennender Sonnenhitze ist; aber die kleinen Kinder! Nachdem sie die Eltern den
ganzen Tag vertröstet & hingehalten haben ihren Durst im Nachtquartier zu
stillen, erreicht man kein Wasser, & die armen Kleinen strecken weinend
ihre Arme nach einem kühlenden Trunk um ihre aufgesprungenen, brennenden Lippen
zu netzen & erhalten nichts als die Thränen der Mutter, & wer weiß,
vielleicht auch des Vaters. Das ist entsetzlich! Das sonst so gastfreundliche
Brasilien war durch den langen Bürgerkrieg ganz entartet. In den Wohnungen, die
die Flüchtlinge alle 8 oder 10 Tage trafen, bekamen sie Nichts, wurden auch
sogar gewaltsam verjagt. Jeder war mißtrauisch & mißvergnügt. Banden von
Abentheurern durchliefen & plünderten das Land; Spione der Regierung
durchspähten es, um die Gesinung der Unterthanen zu erfahren; Abentheurer aller
Art machten sich die allgemeine Abspannung & die theilweise Anarchie zu
Nutzen. Ein mal aber, als unsern Emigranten nicht nur jeder Verkehr auf einer
jener entlegenen Niederlaßungen grob abgeschlagen wurde, sondern man ihnen
selbst das Wasser aus den Brunnen verweigerte, entbrannte in ihnen der gerechte
Zorn. Sie stürmten das Etablissement
& nahmen gewaltsam, was man ihren Bitten & ihren Gold verweigert hatte;
nachher bezahlten sie aber den zwanzigfachen Werth des Geraubten, worüber der
Besitzer so verblüfft & so entzückt ward, daß er nicht nur jede Bezahlung
radikal nicht annahm, sondern auch den verfolgenden Reitern, die 3 Tage nach
dieser Colision ankamen & sich nach den Flüchtigen erkundigten, eine ganz
falsche, entgegengesetzte Spur angab. – Endlich erreichten die armen Wanderer
Ilhéos, wo sie statt der gehofften, bereits bezahlten, reichen &
wohlorganisirten Pflanzungen, einige verödete, elende Wohnorte fanden, Dank der
Spitzbüberei des Marschals Felisberto
& der Bestechlichkeit ihres Geschäftsträgers. So mußten denn diese, an
Reichthum & Luxus gewohnten Personen wieder von vorne anfangen um sich eine
unabhängige Lage zu bringen, was ihnen denn auch nach langen Jahren &
unermüdlicher Thatigkeit gelang. Heut zu Tage sind die Sá die wohlhabendsten Gutsbesitzer von Ilhéos. Der Kaiser, nachdem er eine allgemeine Amnestie für die im
Kriege in Minas Betheiligten, erlaßen
hatte, suchte sich diese Familie, die eine so beispiellose Hartnäckigkeit &
Energie in der Aufrechthaltung ihrer Prinzipien gezeigt hatte zur Stütze für
seinen auf gläsernen Füßen schwankenden Thron zu machen. Aber umsonst: kein Sá biß in die Angel, die er ihnen
vorhielt, mit Orden, Titteln & Pensionen geködert. – Der General ist noch
der schwankendste von Allen; seine Brüder nennen ihn daher gern den Cataplasmus,
während er meinen Schwiegervater den Senhor bisturi
nennt; diese zwei, sehr treffenden Benennungen charakterisiren diese beiden
Brüder trefflich; Somit hast Du einige Aphorismen aus der Lebensgeschichte der
Familie meiner Frau, & ich sage wie Du: «Wenn wir uns einst wiedersehn
erzähle ich Dir die nähern Details.
Was das Attentat auf dein Leben
betrifft, wünsche ich Dir von ganzen Herzen Glück zu Deiner Errettung. Ich
glaubte nicht daß Dergleichen in unsrem civilisirten Europa vorkäme. Hier zu Lande
ist dies eine alltägliche Erscheinung. Auch Ich habe schon erfahren daß nicht
jede Kugel trifft & daß mancher zum Mord bestimmte Schuß im Lauf bleibt.
Vor Einem habe ich einen Heidenrespekt, das ist der Dolch; ich habe schon 4
Personen, so zu sagen in meinen Armen daran sterben sehn; es ist gräßlich! so
ein kaltes Eisen, das einem, stets von Hinten, in den Leib gebohrt wird!
da läßt man sich doch noch einen anständigen Schuß gefallen. – Soeben habe ich
noch den Verband eines armen Teufels gewechselt, den ich hier in der Kur habe,
welcher einen ganz gehörigen Messerstich zwischen der letzten Rippe & der
Hüfte hat (erstere ist gestreift) kommt keine Necrosis dazu so glaube ich daß er durchkömt. Der feige Thäter
dieses Mordversuchs, empört daß ich ihm, nota
bene auf negatiwe Art, ins Handwerkpfuschte, paßte mir letzthin, als ich zu
meiner Schwiegermutter, die ernsthaft krank war, auf Krankenbesuch ritt, im
Walde auf, um wie er sich geäußerst hat, mich zu erschießen. Aber Wollen &
Können sind sehr verschieden. Mit knapper Noth brachte er seine Beine vor den
mich stets begleitenden Hunden, durch schleuniges Erklettern eines Baumes, in
Sicherheit, daß ich mich halb tod lachen mußte; später erst erfuhr ich daß der
Kerl mir zu liebe am Wege lauerte. – Wenn diese Mode in Europa üblich wird, so thut Ihr Alle besser hieher zu kommen. –
Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen hier ist Medicin & Chirurgie &
Dank der besten Werke in diesem Fache, die ich hier besitze, meiner
ausgedehnten Praxis & meinem eifrigen Bestreben zu lernen & mich zu
vervollkommnen habe ich mich schon zu einem ganz erträglichen Pflasterkasten
herangebildet. Vorigs Jahr herrschte auf der Deutschen Colonie von Caxoeira ein ziemlich bösartiger Typhus, ich hatte aber das Glück, daß
mir von den 14 Kranken, die ich in Behandlung hatte, nur 5 starben, wovon einer
aus eigener Schuld, während der Rekonvalescens, was, in Betracht der höchst
ungünstigen Verhältniße unter deren Einfluß diese Leute leben & erkranken,
ein sehr gutes Resultat genannt werden kann. Die Behandlung ist hier ziemlich
von der in Europa üblichen verschieden,
was durch klimatische, Nahrungs & andere Verhältniße bedingt wird. Dieser
Unterschied der Behandlung ist am größten bei äußern Verletzungen; selten oder
nie beobachtet man hiebei ein reines Wundfieber; nervöse Symptome gesellen sich
demselben gleich bei, im Folge der allgemein vorherrschenden nervösen
Constitution in den tropischen Climaten: daher kann das rein atiphlogistische
Verfahren nie angewandt werden. Aus diesem Grunde enden dergleichen, mitunter
gar nicht gefährliche Wunden, sehr oft mit Starrkrampf & Tod.
Meine Liebhaberei für Thiere habe
ich noch beibehalten. Sonderbare Weise werden die Hausthiere hier nie so
zutraulich & anhänglich an ihren Herrn & Pfleger, als in Europa. Hingegen werden fast alle wilden
Thiere des Waldes mit einer überraschenden Schnelligkeit & Leichtigkeit so
zahm, daß sie einem, durch ihre unverschämte Zudringlichkeit lästig werden. Die
einzigen die sich schwer oder nie zähmen sind die Rehe & Antilopen, Fuchs, Chacal, Marder- & Iltißarten &
das Gürtelthier so wie auch der große & kleine Ameisenbär. Sämtliche Nagethiere,
das Capivara (das größte bekannte von
dieser Familie, analog dem Hyppopotamus der alten Welt) ein drolliges,
gemüthliches Thier, das eine Mischung von Pferde- & Schweinegestalt zeigt, -
die verschieden Dachse, das Aguti,
die Beutelratten, werden äußerst zahm; deßgleichen der Tapir, die drei Sorten
wilden Schweine; alle zum Katzengeschlecht gehörigen Thiere, von großen,
schwarzen Panther oder dem schön gestreiften Jaguar bis zur kleinsten
Tigerkatze; von ersteren befaß ich ein schönes Exemplar von ungefähr 9
Monathen, da derselbe aber anfing eine ganz besondere Liebhaberei für
Federvieh, Lämmer & Ferkel zu zeigen, wollte ich versuchen ihm diese
Schwachheit mit der Hundspeitsche auszutreiben, aber diese König der Urwälder,
über solch unehrerbiethige Verfahren im Innersten empört, zog sich in eine nahe
beim Hause gelegene Citronenhecke zurück & segnete das Zeitliche:
Und so saß er eine Leiche
Eines Morgens da,
Nach dem Fenster noch das
bleiche, (es war zufällig pechschwarz)
Stille Antlitz sah. Requiescat
in pace!!!
Noch zähmer wird das befiederte
Volk der Wälder; sowol alle Dickschnäbler vom prächtigen rothen oder gelber
Aras bis zum niedlichen Cuiaba (einem
Papagei, der nicht viel größer, als ein Zaumkönig wird) als auch die überaus
zahlreiche Familie des Gallinaceen: der stolze Mutum von der Größe eines Truthahns, sowol als die kleinen Jacu’s. Von allen diesen Vierfüßlern
& Vögeln, mit wenigen Ausnahmen habe ich schon beseßen oder besitze ich
noch. Auch mehrere Schlangen werden überaus zahm, so namentlich die Cainana, eine in glänzenden Farben
schimmerde 10 – 12 Fuß lange unschuldige Schlange, deren einzige Waffe in ihrem
Schwanz besteht, welcher allerdings, wenn sie gereizt wird empfindlichere Hiebe
versetzten soll, als die bestconstitutionirte Fuhrmanspeitche; ihr Nutzen
besteht im Vertilgen der Ratten, Fledermäuse & hauptsächlich aller giftigen
Schlangen; man trifft sie daher zahm in vielen Häusern an wo sie mit
geisterhafter, unheimlicher Geschmeidigkeit & Geräuschlosigkeit sich in den
Credenzschränken, in welchem hohe Stöße von Porzellan & Cristal aufgethürmt
sind, herumwindet, ohne auch nur das Geringste zu berühren. – Ich, meines
Theils bedanke mich für solche Hausgefährtin, die sich sogar oft zur Beischläferin
macht in dem sie zu den Leuten ins Bett kriecht. Man soll sogar Beispiele
haben, daß diese Thiere, die bekanntlich die Milch über Alles lieben, zu
säugenden Müttern ins Bett krochen & ihnen, während des Schlafs, die Brüste
aussaugen, während sie den Säugling mit der größten Behutsamkeit & Geschicklichkeit
bei Seite schieben; überhaupt hat diese Schlange viel Sympathie für Kinder
& eine große Antipathie gegen Hunde. – Mit Lächeln & Wehmuth besuchte
ich jüngst dem Vogelmarkt in Bahia:
hier sah ich die ganze Pracht brasilianischer Vögel, wie sie ihre gelehrte
Zunge & ihr prachtvolles Gefieder zu bescheidenen Preisen feilbothen, &
durch ihr betäubendes Geschrei den Kauflustigen einluden; daneben saßen in
eleganter Käfigen, mit hängenden Flügeln, struppigen Federn & traurig vor
sich hinbrütend einige arme Stieglize, Finken & Gimpel: Der Prophet gilt
nichts in seinem Lande! Der Preis, der bei den Landeskindern nach Franken
berechnet wurde, wurde Louis d’ors
für die armen Fremdlinge abgeschätzt. - Was doch Vorurtheil, Mode & Einbildung nicht machen! In Europa schätzt man sich glücklich einen theuern, plappernden
Papagei zu haben; hier reißt man sich um einen abgemagerten, stummen Zeisig! –
O Eitelkeit der Eitelkeiten!!
In meinen mäßigen Stunden
beschäftige ich mich auch mitunter mit meinem Garten; nicht etwa mit
Hortikultur, für diese habe ich nie Neigung gehabt, sondern mit dem prosaischen
Theil des Gemüsegartens & da geht es mir denn gerade wie den Vogelhändler
& Käufern, die ich soeben kritisirte; denn obwol der hiesige Boden die
schmackhaftesten, wahrhaftesten & gesündesten Vegetabilien zu Tage fördert,
bin ich noch nicht damit zufrieden; ich will auch europäische Gemüse auf meine
Tafel. Spargel geräth ganz ausgezeichnet, wie Unkraut, & ist gar nicht mehr
zu verwüsten; anders verhält es sich aber mit rothen, gelben & weißen
Rüben, Blumkohl, Kohlrabi, Celleri ect. Diese kommen, bei der größten Sorgfalt
& Pflege nur sehr schlecht, in jeder Beziehung. Dessen ungeachtet, wenn ich
3 oder 4 Pflanzen dieser Gemüse für die Küche reif finde, so verkrüppelt &
elende sie auch sein mögen, reiße ich sie aus, (denn Niemand darf sich den Beeten
dieser exotischen Pflanzen nahe) & komme damit triumphirend & stolz,
wie ein Kammerherr der eben einen umverdienten Orden erhalten, nach Hause, um
dies Produkt meiner Thätigkeit & Weisheit meiner Frau höchsteigenhändig zu
übergeben. Diese stürzt mich aber vom Olymp meiner botanischen Selbstzufriedenheit
in die Prosa ihrer Kochkessel, mit der Frage: wie das Zeug da, zubereitet
würde. Ohne mich außer Faßung bringen zu lassen, debitire ich ihr alsdann ein
zusamengelogenes Kochbuchrezept eigener Erfindung & da die Pflanzen an &
für sich nicht viel taugen, die Zubereitung wo möglich noch weniger, so kannst
Du Dir denken welch excentrischer Hexenbrei auf den Tisch kommt. Aber, mit
europäischen Erinnerungen & brasilianischen Ingredienzen gewürzt,
verschlinge ich das Gericht, bis zum letzten Bißen, mit sentimental-gastronomischer
Wollust. Während Ihr saure Orangen & Ananas (die hier Mist machen) mit
eingebildeter Feinschmeckerphantasie & Bergen von Zucker, genießet, suche
ich mich hier zur luxuriösen Höhe einiger Rüben & Kohlstauden emporzuschwingen.
– Ländlich-sittlich. Man wünscht immer was man nicht hat, & das ist der
Unterschied zwischen dem Menschen & dem Mastschwein; dieses hat nie
einen Wunsch, es müßte denn die Fütterungszeit verspätet werden; jener ist
nie zufrieden, er mag Ruhm, Reichthum, & Ehre besitzen; immer wünscht
& will er mehr besitzen. – «Schuster bleib bei deinem Leisten». Oder:
Genieße was dir Gott beschieden,
Entbehre gern, was du nicht hast.
Ein jedes Land hat seinen
Frieden,
Ein jedes Land hat seine Last.
Du wirst wol leicht das Plagiat von Gellert erkennen, deßen
Lieder & Oden ich noch treu & liebevoll in dem von unserer seeligen Lina mir zurückgelaßenem Exemplar
besitze.
Übrigens bemerke ich mit Schrecken, daß ich bereits einen
ganzen Stoß Papier an Dich verschmiert habe. Tant pis wenn Du ein gehöriges Briefporto bezahlen mußt.
Sehr leid thut es mir, daß unsere Eltern & Geschwister
sich definitiv in Bern etablirt
haben. Es knüpfen sich zu viel Erinnerungen an unsere böhmischen Schlößer, als
daß ich dieselben so leicht verschmerzen könnte. Daß unserm Vater Bern besser behagt ist eben aus
demselben Grunde natürlich, aus welchem aus Kindern Böhmen so magnetisch
anzieht. Jeder sehnt sich nach seiner ersten Wiege zurück. Keine Nachricht
konnte mir so angenehm & erfreulich sein, als Die der kräftigen, langen
Jahre noch versprechenden Gesundheit unserer Eltern. Somit habe ich noch
Aussicht dieselben, in diesem Leben zu sehn. Du bist immer bei ihnen &
kannst nicht wissen, wie sehnsüchtig es einem Sohn & Bruder, nach bald 10
jähriger Trennung zu den Seinen zieht. – Höchst erfreut war ich über die
Nachricht, von Theresens baldiger Heirath. Elise macht es wie jener
Gardelieutenant in Berlin: «Johann
sehn die hübschen Mädchen nach mir? – Ja wol Herr Lieutenant. – Laß sie
schmachten.» Wenn nur meine liebe Elise, ihre Verlobung ankündigen wird, laße
ich ein ganzes Dutzend Raketen & Champagnerpfropfen in die Luft fliegen. –
Sage Theresen, daß ich ihr nächstens auf ihren Brief antworten werde, so wie
auch unserer Mutter & entschuldige mich Dies noch nicht gethan zu haben;
ich bin überzeugt daß es Deinem Einfluß & Deiner Rednerkunst gelingen wird
mir Gnade & Verzeihung zu erflehen.
Gern würde ich meiner verehrten, lieben Schwägerin einige
Zeilen, als Beweis meiner Freundschaft & Dankbarkeit schreiben; aber
Gemeinplätze mag ich nicht auskramen; innige, aufrichtige, die Seele durchdringende
Empfindungen lassen sich nicht leicht auf dem Papier wiedergeben; daher halte
ich es für das Beste Dir den Auftrag zu geben, ihr Alles was ein gefühlvolles
Herz für Sie, im andern Welttheil, bewegen kann, von mir auszurichten. Du wirst
wol noch einen Apendix zarterer Gefühle, auf eigene Faust anhängen; davon
wasche ich mir die Hände. Jedenfalls werden Deine Aussagen &
Erklärungen unbedingtern Credit finden, als die meinen.
Grüße Hans Wradzda, Carl Péche, Janskiy, Victorine &
sämtliche guten Bekannten & Freunde von mir. Das Hinscheiden des patriarchalischen
Hansi habe ich bereits vernommen; der arme Langohr hat uns vor 20 Jahren viel
Spaß gemacht.
Da ich nicht recht weiß, unter welcher Adresse Dir diesen
Brief zu spediren, schicke ich denselben nach Bern; von da aus wird er Dir,
wenngleich mit einiger Verzögerung, doch mit Bestimmtheit zukommen.
Nun lebe wohl mein lieber Bruder, möge der Himmel uns noch
einmal zusamenbringen. Empfiehl mich unbekanntes Subjekt der Familie Deiner
Ehehälfte & dieser letztern aufs aller Angelegentlichste. Meine Frau läßt
Euch beiden die freundschaftlichsten, schmeichelhaftesten Dinge sagen, &
sehnt sich lebhaft danach die Bekanntschaft ihrer europäischen Verwandten zu
machen. – Adeos! Nimm einen
leidenschaftlich freundschaftlichen Händedruck von
Deinem
Bruder
F. d Steiger.